TaskForce Einsatz Chile 2010

Erdbeben vom 27. Februar 2010 (08:34 Uhr MEZ)

Parameter des Hauptbebens:

Datum: 27.02.2010, 06:34:11 UTC
Magnitude: M 8.3 (GEOFON)
Herdtiefe: 24 km
Koordinaten: 72.75°W 36.05°S (GEOFON)
Region: Near Coast of Central Chile

Feldteam der Dt. TaskForce Erdbeben:

Dipl.-Ing. L. Abrahamczyk, Dr.-Ing. H. Maiwald, Dipl.-Ing. Arch. D. Lobos (Bauhaus-Universität Weimar)

Leitung:

Dr.-Ing. J. Schwarz (Bauhaus-Universität Weimar)

Beteiligte (Partner-)Institutionen:

GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ Potsdam)

Eine erste Bilanz

Das Ausmaß der Schädigung der vorhandenen Bauwerkssubstanz (im Sinne vom Schadensgrad) ist im Hinblick auf die Stärke des Erdbebens, eher als moderat bis gering einzuschätzen. Dies kann zum einen auf die Entfernung zum Erdbebenherd und zum anderen auf die Auslegungsphilosophie in der Erdbebenbaunorm und ihre praktische Umsetzung in Chile zurückgeführt werden.

Im Unterschied zu anderen Ländern, wo bei schwereren Erdbeben ein gewisses Maß an Schädigung zugelassen wird („Performance-based Design“), ist es in Chile aufgrund der großen Häufigkeit derartiger Erdbeben das Ziel der Ingenieure, generell Schäden an den Bauwerken zu vermeiden.

Chile befindet sich in einer seismisch sehr aktiven Region und wird regelmäßig von schweren Erdbeben erschüttert (1960, 1985). Die Hauptursache liegt darin, dass sich die Nasca-Platte mehrere Zentimeter pro Jahr unter die Südamerikanische Platte schiebt und sich dabei sehr starke Spannungen aufbauen.

Wie die zum überwiegenden Teil kaum oder gar ungeschädigten Gebäude bestätigen, sind aus den schweren Erdbeben der Vergangenheit offensichtlich die richtigen Lehren gezogen worden.

Die enorme Stärke des Erdbebens ließ sich auch in Weimar anhand der großen Amplitudenausschläge in der in-time Registrierung der Bauhaus-Station wenige Minuten nach dem Ereignis nachvollziehen.

Im Rahmen des Einsatzes wurden Messgeräte in verschiedenen Gebäuden temporär installiert, um die Bauwerksantwort infolge der Nachbeben aufzuzeichnen. Entsprechende Registrierungen konnten in der Tat von stärkeren Ereignissen gewonnen werden, die in deutschen Erdbebengebieten bereits für Auslegung in Interesse bzw. maßgeblich wären. 

Die Umsetzung der Erfahrungen aus vergangenen Erdbeben spiegeln sich auch in den bevorzugten Bauweisen wider. Neben den traditionellen, vor Ort verbreitet noch anzutreffenden adoben Lehm-, Mauerwerks- und Holzbauten dominieren massive Stahlbeton-Wandstrukturen, die in der Vergangenheit ein gutes Erdbebenverhalten gezeigt haben.

Neben Ingenieurbauwerken in Stahlbetonausführung sind vielfach Gebäude aus eingefasstem Mauerwerk (confined masonry) vorzufinden, die ebenfalls eine gute Erd­bebenresistenz aufweisen und somit die weltweit positiven Erfahrungen bestätigen

Als Besonderheit des Ereignisses sind neben der Stärke des Erdbebens und des nachfolgenden Tsunamis, speziell die Schäden an den mehrgeschossigen Bauwerken herauszustellen, welche auch während des Einsatzes einen Untersuchungsschwerpunkt bildeten.

Neben der Identifikation der Scha­densursachen geht es vor allem darum zu klären, inwieweit die gewonnenen Erfahrungen auf andere Gebiete übertragen werden können.

Wie fast bei jedem schweren Erdbeben traten auch beim Beben Ende Februar spektakuläre Schadensfälle auf, die die Ingenieure auf spezielle Mängel am Objekt aufmerksam machen. Sie sind in der Regel auf die ungünstige Überlagerung mehrerer schadensbe­günstig­ender Ursachen zurückzuführen.

Infrastruktur:

Generell sind infolge des Haupterdbebens und weiterer starker Nachbeben erhebliche Schäden an der Infrastruktur entstanden. Einzelne Brücken erlitten Totalschaden und viele weitere mussten für den Verkehr gesperrt werden. In den Straßen traten zahlreiche größere Senkungen und Risse auf.

 

Spezialbauwerke:

Vereinzelte Silos erlitten Totalschaden. Die Gründe für das Stabilitätsversagen müssen im jeweiligen Fall speziell untersucht werden.

Einfache Wohnbauten:

Totaleinstürze infolge der Erdbeben waren vornehmlich bei den adoben Bauweisen zu verzeichnen. Aber auch hier gibt es Ausführungsbeispiele, die zwar Schäden aufweisen aber nicht versagten.

Mehrgeschossige Wohnbauten:

Die Schäden an den Ingenieurbauwerken beschränken sich vornehmlich auf mehrgeschossige Bauwerke (mit mehr als 10 Etagen). Dies ist unter anderem auf die spezielle Charakteristik des Erdbebens und der Beschaffenheit des weichen, verstärkenden Untergrundes zurückzuführen. Die Eigenfrequenzen dieser Bauwerke wurden durch den hohen langperiodischen Anteil des Erdbebens angeregt, welcher durch die Einwirkungsmodelle der aktuellen Erdbebennorm in diesem Umfang offenbar nicht abgedeckt wurde.

Auch lassen sich in der Vergangenheit Veränderungen in der Ausführungs- bzw. Bemessungsphilosophie derartiger Gebäude zu verzeichnen. Aufgrund verschiedener Einflüsse wurden z.B. die Dicken tragender Wandelemente sukzessive von ca. 30cm auf 15cm reduziert, was auch maßgeblich zur Schädigung dieser Gebäude beigetragen hat.

In den vom Tsunami betroffenen Orten Dichato und Constitucion waren die Schäden infolge der Schütterwirkungen des Erdbebens relativ gering. So waren an topographisch höher gelegenen Gebäuden nur leichte Schäden zu verzeichnen.

Durch den Tsunami wurden vornehmlich die einfachen, adoben Bauweisen sowie die leichten Holzbauweisen zum Teil total zerstört. Aber auch massivere Bauweisen erlitten erhebliche Schäden, wie z.B. Fundament-unterspülungen.

Generell ist die Küstenregion Chiles auf Tsunamis vorbereitet, jedoch scheint der Schwerpunkt bisher lediglich auf der Evakuierung der Bauwerke/ möglichen Überflutungsgebieten gelegen zu haben. Zu berücksichtigen ist auch, dass der letzte Tsunami in der betroffenen Region vor 50 Jahren auftrat.

Ein Vergleich der Auswirkungen infolge des Tsunami nach dem Sumatra-Andamanen-Erdbebens 2004 kann hier aufgrund anderer Küstenformen und Bauweisen weitere Erkenntnisse liefern.

In Abhängigkeit von der Küstenform konnten verschiedene Schadensaus­wirkungen konstatiert werden. Die genauen Umstände sind noch zu analysieren bzw. zu untersuchen. Speziell über die Anzahl und Höhe der „Hafen-Wellen“ (Tsunami) liegen unterschiedliche Informationen bzw. Beobachtungen vor.

Bereits im Vorfeld der Reise konnten Kontakte zu Vertretern der Ingenieur- und Architekturfakultäten der lokalen Universitäten hergestellt werden.

Universidad de los Andes
Prof. Jorge Crempien
Decano Facultad de Ingenieria Civil
Santiago - Chile

Universidad de Santiago de Chile
Facultad de Ingenieria, Depto de Ingenieria Geografica
Prof Victor Herrera

Santiago - Chile

Universidad del Bio-Bio
Facultad de Arquitectura, Construcción y Diseño
Rodrigo Garcia
Conceptión - Chile

Universidad de Concepcion
Facultad de Ingenieria
Prof. P. Dechent
Conceptión - Chile

Diese unterstützen die Arbeiten Vorort durch die Bereitstellung ihrer bereits vor­handenen Informationen bezüglich der Schadensgebiete, der Identifikation von Gebäuden zur Installation der Strong-Motion Messgeräte der Deutschen TaskForce sowie beim Aufbau der Geräte selbst.

Erfahrungswerte

Von diesem sehr starken Erdbeben können viele Lehren für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden abgeleitet werden, z.B. bezüglich des Verhaltens verschiedener Bauweisen und der Effizienz der ange­wendeten Erdbebennormen. Die Form der Auswertung folgt den bereits vorliegenden Lehren von verschiedenen Erdbebeneinsätzen der Ingenieurgruppe der Deutschen TaskForce Erdbeben.

Die allgemeinen Erfahrungen dieses ersten Einsatzes sind:

  • Die Hilfe war sehr willkommen, was nicht unbedingt selbstverständlich ist.
  • Der Einsatz von Messtechnik war erforderlich und bleibt auch weiterhin sinnvoll, da diese lokal nicht in ausreichendem Umfang vorhanden war bzw. nur geringe Kapazitäten hierfür zur Verfügung standen.
  • Die Erfahrungen und Fähigkeiten zur schnellen Bewertung der Schäden und zu Ad-hoc-Entscheidungen über ereignis- und situationsgerechte Reparatur- bzw. Rekonstruktions-maßnahmen waren bzw. sind gefragt.
  • Die bereits in der Vergangenheit erfolgreich gestaltete Verknüpfung der Erfahrungswelten von Architekten und Ingenieuren im Rahmen dieses Einsatzes kann als sehr positiv und auch für die Universität als Signal für die stärkere Zusammenarbeit zwischen den Fakultäten gewertet werden.

Im Rahmen des Einsatzes konnten Messdaten zum Verhalten verschiedener mehrgeschossiger Wohnbauten aufgezeichnet, die Auswirkung von Erdbeben gefolgt von einem Tsunami partiell dokumentiert und Kontakte für die weitere Zusammenarbeit geknüpft werden.

 

Weitere Vorgehensweise

In einem ersten Schritt werden die gewonnen Daten ausgewertet und in Form eines Berichtes publiziert. In Zusammenarbeit mit den lokalen Partnern werden anschließend weitere Daten erhoben und die Erkenntnisse in Form von Publikationen und ggf. Workshops der breiten Öffentlichkeit speziell den lokalen Institutionen präsentiert. Gute Erfahrungen liegen hier bereits im Rahmen eines aktuellen Projektes in der Türkei vor. - Ziel wird es sein, im Rahmen bilateraler/ internationaler Projekte die Erfahrungen aller beteiligten Partner zusammenzuführen und für die Küstenregionen Chiles Modelle zur Schadensabschätzung bzw. -minimierung zu entwickeln, die die Gefährdung infolge Erdbeben in Kombination mit Tsunami berücksichtigen.

Die Lehren aus dem Chile Erdbeben vom 27. Februar 2010 werden direkt in die Ausbildung der Studenten im Studiengang „Natural Hazards and Risk Engineering“ (NHRE) einfließen, um die guten Erfahrungen mit einzelnen Bauweisen in andere Erdbebengebiete auch auf diese Weise zu übertragen. Im Rahmen der Umgestaltung des Studienganges werden wichtige Lehrkomponenten neu eingeführt oder gestärkt, die die Ingenieure auf die Anforderungen Ereignisfall vorbereiten und die für Durchführung und Nachbereitung erforderlichen Hilfsmittel durch intensiv betreutes Projekttraining vermitteln.  

Wie bereits nach den schweren Erdbeben in Venezuela (1997) und in der Türkei (1999, 2000, 2002, und weitere) praktiziert, wird auch für das Chile Erdbeben ein Nacheinsatz (in ca. 1 Jahr) eingeplant. Die Erfahrungen zeigen, dass die Dokumentation der baulichen Rekonstruktionsmaßnahmen mit entsprechend vorbereiteten Standortuntersuchungen und objektspezifischen Gebäudeaufnahmen zu koppeln sind, um mit Empfehlungen wirksam werden bzw. konkrete Projekte abstimmen zu können (und für letztere entsprechende Finanzierungsgrundlagen bzw. Projektträger zu erschließen).

 

Organisatorische Abwicklung und Finanzierung

Der Einsatz erfolgte im Rahmen der Deutschen TaskForce Erdbeben und wurde vom Zentrum der Ingenieuranalyse für Erdbeben organisiert und realisiert. Vorort fand ein Koordinierungstreffen mit den ebenfalls im Gebiet tätigen Seismologen des GFZ Potsdam statt. Die Deutsche Botschaft war an die konkrete Reiseplanung und den Einsatz angeschlossen.

Für die Finanzierung konnten verschiedene Quellen der Unterstützung gewonnen werden. Hier ist besonders der großzügige Beitrag der Deutschen Gesellschaft für Erdbeben und Baudynamik sowie der Hannover Rück zu würdigen.

Literatur

Schwarz, J., Schmidt, H.-G. (1997):
Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden: Lehren aus aktuellen Ereignissen. Bautechnik 74 (1997) 12, 826--846.

Schwarz, J., Lang, D.H., Raschke, M. (2000):
Die Erdbeben in der Türkei am 17.08.1999 und 12.11.1999. Ein Beitrag zur Ingenieuranalyse der Schäden. Bautechnik 77 (2000) 5, 301--324.

Schwarz, J., Lang, D.H., Raschke, M., Schmidt, H.-G., Wuttke, F., Baumbach, M., Zschau, J. (2000):
Lessons from recent earthquakes – field missions of German Task Force. Proceed. of the 12th World Conference on Earthquake Engineering, Auckland, New Zealand, Januar 30–February 4, 2000. Special Theme Session.

Schwarz, J., Abrahamczyk, L., Lang, D.H., Maiwald, H. (2004):
Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden: Das Bingöl (Türkei) Erdbeben vom 1. Mai 2003. Bautechnik 81, 6, Juni 2004.

Schwarz, J., Abrahamczyk, S. Amstein, Kaufmann, Ch., Langhammer, T. (2006):
Das Waldkirch-Erdbeben (Baden-Württemberg) vom 5. Dezember 2004. Bautechnik 83 (2006), Heft 3, 202--208.

Maqsood, S.T., Schwarz, J. (2008):
Analysis of building damage during the 8th October, 2005 Earthquake in Pakistan.
Seismological Research Letters, 79 (2), S. 163-177

Quellen

[1] Giardini, G.; Grünthal, G.; Shedlock, K.; Zhang, P. (1999): The GSHAP Global Seismic Hazard Map. [online] www.seismo.ethz.ch/GSHAP/.

[2] U.S. Geological Survey: Earthquake Hazard Program. http://earthquake.usgs.gov/earthquakes/search/.

[3] USGS (2009): Global GIS Databases - Datasets. [online] http://webgis.wr.usgs.gov/globalgis/datasets.htm (Letzter Zugriff 2010-03-04).

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